Projekt erweitert: Geflüchtete Frauen aus Uganda verbringen „Zeit mit Pferden“
Der Reitverein Corona hat sein Engagement für Geflüchtete erweitert. Das Projekt „Zeit mit Pferden“, das bisher Kindern aus der Ukraine gegolten hatte, soll für andere benachteiligte Gruppen geöffnet werden. Den Anfang machten Ende Juni vier aus Uganda geflüchtete Frauen.
Für Merianne, Sandra, Fidy und Faith ist die Pferdewelt eine völlig neue: Noch nie hat eine von ihnen ein Pferd geputzt, geschweige denn im Sattel gesessen. „In Uganda gibt es nicht viele Pferde, wir haben vor allem Kühe“, sagt Sandra in fließendem Englisch. Reitangebote gebe es nur für Touristinnen und Touristen, für Einheimische seien die aber unbezahlbar.
Entsprechend groß ist die Aufregung, als die vier Frauen, die seit einem Dreivierteljahr in Deutschland sind, auf dem Hof ankommen. Und was hilft garantiert gegen Nervosität? Zuerst mit den Kleinsten und Niedlichsten am Stall zu beginnen: den vier Shetty- und Welshponys, die neugierig und freundlich die Hälse recken, um sich vorsichtig, dann zunehmend mutiger streicheln und kraulen zu lassen. Noch ein paar Erinnerungsfotos, dann geht es weiter zu den Großen: Hella und Maestro.
„Hello Hella“, sagt Merianne und streckt der Haflingerstute lächelnd ihre Hand entgegen. Die begrüßt die Frauen, wie sie alle begrüßt: neugierig, sanft und freundlich. Beim Putzen macht Fidy große Augen: „So viele Bürsten für ein Pferd?!“ Sie greift sich einen rosa Kamm aus dem Putzkasten und kämmt vorsichtig Hellas Schopf. Faith schnappt sich einen Striegel und sagt: „Los, ich fange damit an und Du, Sandra, bürstest den Staub weg.“ Berührungsängste gibt es spätestens jetzt keine mehr: Begeistert wird gestriegelt und gekämmt, gebürstet und gestreichelt.
Erst als die Pferde gesattelt, die Trensen verschnallt und die Helme verteilt sind, kommt die Nervosität wieder hoch: Wie kommt man jetzt aufs Pferd? Sandra schwingt sich als Erste von der Aufstieghilfe in Hellas Fellsattel und sagt nach wenigen Metern im Schritt beeindruckt: „Wow, ich spüre so sehr, wie stark sie ist.“ Auf Maestro macht Merianne den Anfang und sitzt sofort strahlend im Sattel: „Danke, dass wir das ausprobieren dürfen! Ich würde am liebsten immer wiederkommen.“
Vor allem an den Wochenenden, wenn nicht vormittags ihr Deutschkurs stattfindet, fällt den Frauen in den Geflüchtetenunterkünften die Decke auf den Kopf: Arbeiten dürfen sie nicht und eine Arbeitserlaubnis können sie erst beantragen, wenn sie einen Ausbildungsplatz sicher und ein bestimmtes Sprachniveau erreicht haben. Die Bürokratie ist kompliziert, das Asylverfahren langwierig und voller Hindernisse. „Ich bin froh, dass ich rauskomme und heute etwas Schönes machen kann“, sagt Merianne.
Nach zwei Runden im Schritt um die Galoppbahn rutschen die beiden von den Pferderücken, staubig, aber glücklich. „Ich hätte nicht gedacht, dass es so schön wird“, freut sich Sandra, umarmt voller Freude den Pferdehals und sagt: „Danke, Hella, dass du mich getragen hast.“Fidy und Faith drehen ebenfalls zwei Runden auf der Haflingerstute und Maestro, anfangs etwas angespannt, dann immer redseliger und fröhlicher. Als Hella zufrieden schnaubt, macht Faith sich Sorgen: „Kann sie nicht mehr? Ist ihr zu warm? Oder bin ich zu schwer?“ Erleichtert streichelt sie der Stute den Hals, als sie hört, dass das nicht so ist.
Nachdem die Pferde abgesattelt sind und alles wieder aufgeräumt ist, machen die vier Frauen noch einen Rundgang durch den Schulstall und ein kleines Picknick auf der Terrasse. Sie haben Obst mitgebracht und ugandisches Gebäck, vom Verein gibt es Teilchen vom Bäcker. Für ein paar Stunden konnten Merianne, Sandra, Faith und Fidy ihre Sorgen vergessen – dank Hella, Maestro und ehrenamtlichen Helferinnen, die diesen Termin ermöglicht haben. „Das Projekt ,Zeit mit Pferden‘ ist so viel wert“, sagt Sabine Urban, Vorsitzende des Reitvereins Corona. „Und ein Lichtblick in diesen schwierigen Zeiten.“
Ihr kennt benachteiligte Gruppen, denen eine Auszeit am Stall ebenfalls guttun würde und für die der Reitverein Corona gut erreichbar ist? Dann schreibt eine Mail mit eurem Vorschlag an: zeitmitpferden@reitverein-corona.de
Ein Projekt für ukrainische Kinder im Reitverein Corona in München
Es ist die fünfte Runde um die Koppeln des Reitverein Corona in München-Solln, die ich mit meiner Haflingerstute Hella an der Hand an einem Tag im Juli 2022 zurücklege. Langsam fangen die Füße etwas an zu schmerzen, die Sonne brennt vom wolkenlosen Himmel. Ein paar hundert Meter vor und hinter mit drehen zwei weitere Freiwillige mit ihren Pferden ihre Runden. Auf dem Rücken der Pferde und Ponies: Kinder und Jugendliche aus der Ukraine, die vor dem Krieg geflüchtet sind. Für die meisten ist es nicht das erste Mal bei uns. Seit März 2022 haben wir schon mehr als 40 Kinder mit ihren Familien bei uns auf dem Hof begrüßen können. Insbesondere in den Sommer- und Herbstmonaten wurde die „Zeit mit Pferden“, wie wir unser Projekt getauft hatten, zum wiederkehrenden Ausflugsziel für viele Familien.
Die Veränderung ist spürbar: vormals schüchterne, stille Kinder laufen strahlend auf „ihre“ Hella zu und begrüßen sie mit einem dicken Küsschen auf die Nase. Ob Hella die Begeisterung darüber teilt, zeigt sie nicht – stattdessen wird jeder freundlich, aber methodisch, nach essbaren Mitbringseln abgesucht. Und, so kitschig es klingt: Angesichts dieser Freude denken weder ich noch die anderen freiwilligen Mitstreiter an den Führstricken an die schmerzenden Füße.
Wie alles begann
Es ist der 24. Februar 2022 und das Unvorstellbare passiert – Krieg in Europa. Die ersten Bomben treffen ukrainische Städte, Millionen Menschen befinden sich auf der Flucht Richtung Westen. Die Hilfsbereitschaft ist riesig – auch im Münchner Stadtteil Solln, wo mehrere Familien in einem Hotel in der Nähe unseres Reitvereins ein erstes Dach über dem Kopf fanden. Über einen örtlichen Stammtisch, den Pfarrverband und einen sehr engagierten Mitarbeiter des Hotels kam der Kontakt zum Reitverein zustande. Das erste Treffen auf dem Hof ist im Gedächtnis geblieben: Etwa 10 Kinder und Jugendliche kamen durch den kalten Märzregen auf den Hof gestapft, begleitet von ihren Müttern, Tanten, Cousinen und Großmüttern. Mit Händen und Füßen machten wir uns verständlich, einer der Gasthaus-Mitarbeiter übersetzte das Wichtigste ins Russische. Verein und Mitglieder hatten Gummistiefel, Helme und Jacken organisiert, denn auf der Flucht hatten viele Familien nur das Nötigste einpacken können. Der Anfang war für beide Seiten nicht einfach: Die Kinder und Jugendlichen waren in sich gekehrt, die Familien spürbar traumatisiert. Väter, Brüder, Onkel, aber auch heiß und innig geliebte Haustiere und der Großteil des Hab und Guts waren in der Ukraine geblieben. Wann und ob sie wieder nach Hause konnten, war vollkommen unklar. Die freiwilligen Helfer im Reitverein wollten mehr tun, als Geld zu spenden – doch wie beginnt man Gespräche über ein so schmerzhaftes Thema wie Krieg und Flucht? Wie zeigt man seine Empathie und Unterstützung, ohne aufdringlich zu wirken? Wie vermittelt man Kindern ein Gefühl der Unbeschwertheit, und bleibt gleichzeitig feinfühlig genug, um „Fettnäpfchen“ zu vermeiden?
Diese Fragen stellten sich unsere Vierbeiner glücklicherweise nicht: Als sich die erste Gruppe Kinder in den Laufstall zu unseren vier Welsh- und Shetland Ponies traute, lösten sich viele unserer Bedenken von allein: Erst schüchtern, dann immer mutiger, wurde gekrault und gestreichelt, Heuhalme zugesteckt und kichernd „ekliger“ Pferdesabber am Fell abgewischt. Die Mütter standen nach kurzer Zeit strahlend daneben und fotografierten aus allen Blickwinkeln. Am Ende trauten sich sogar ein paar Erwachsene in den Laufstall. Später durften die Kinder (und auch die ein oder andere Mama) auf den Haflinger-Damen Hella und Heidi ein paar Runden im Schritt drehen. Ausgiebig wurde auch mit den Hofkatzen gekuschelt.
Zeit mit den Pferden
Die Wochen und Monate vergehen. Während die Kinder am Wochenende ihre Runden über die Wiesen drehen, tauschen sich die Mütter über gemeinsame Probleme und Erlebnisse aus. Eine sehr engagierte Russin aus der Nachbarschaft nimmt sich fast jedes Wochenende Zeit, um gemeinsam mit ihrer Tochter zu übersetzen und hilft bei Fragen zu Behördengängen und deutscher Bürokratie. Mitglieder spenden Kuchen und verbringen so manchen Nachmittag gemeinsam mit den Familien auf der Terrasse des Stüberls.
Die persönlichen Geschichten, die wir im Laufe der nächsten Wochen und Monate hören, machen betroffen – im wahrsten Sinne des Wortes. Ein Mädchen aus der Nähe von Saporischschja hatte dort erfolgreich Turniere auf hohem Niveau geritten, und musste ihre beiden Pferde im Kriegsgebiet zurücklassen. Inzwischen erreichen uns Nachrichten, dass viele Ställe nach über einem Jahr Krieg aufgeben und einfach die Tore öffnen – niemand kann mehr die Boxenmiete bezahlen, Besitzer und viele Angestellte sind vor den Gefechten geflüchtet, Futter kaum noch zu bekommen. Nach dem Bombenangriff auf ein Einkaufszentrum in der Nähe der Hafenstadt Odessa kam eine Mutter mit ihrer Tochter kreideweiß zum Reiten: Sie hatten Bekannte dort verloren. Insbesondere die Familien aus der Ostukraine sind mir im Gedächtnis geblieben – eine Mutter mit ihren zwei Kindern kehrte trotz schwerer Kämpfe nach Charkiv zurück. Die Zerstörung dort ist groß, doch die Sehnsucht nach Heimat und Familie nach vielen Monaten in der Ferne auch. Zudem sind die finanziellen Reserven irgendwann erschöpft. Eine andere Familie aus dem Kiewer Vorort Butscha bangte wochenlang um Verwandte und Freunde, die vor Ort geblieben waren.
Pferde schenken Freude und schaffen Vertrauen
Im Rückblick haben unsere Tiere mit ihrer Empathie, Freundlichkeit und Geduld insbesondere in den ersten Monaten Unschätzbares geleistet. Zu erleben, wie die Kinder wieder begannen zu lächeln, zu scherzen und sich auf dem Pferderücken unbeschwert miteinander zu unterhalten, hat uns alle beeindruckt. Wir erleben große Dankbarkeit seitens der Mütter, die alles versuchen, ihren Kindern ein möglichst unbeschwertes Leben fernab von zuhause aufzubauen. So viele Geschichten, so viele Schicksale – aber auch so viele schöne Erlebnisse, witzige Situationen und spannende Gespräche mit Menschen, die wir sonst nie getroffen hätten. Wer glaubt, dass die „Zeit mit Pferden“ nur die ukrainischen Familien bereichert, könnte nicht falscher liegen.
Im Herbst feierte der Reitverein Corona sein 50jähriges Jubiläum. Mit dabei: mehrere ukrainische Familien, für die der Hof mittlerweile fester Bestandteil ihrer Wochenendplanung geworden ist. Über den letzten Sommer sind viele aus den Erstaufnahmestellen in neue Wohnungen in und um München gezogen. Einige sind in die Ukraine zurückgekehrt. Fünf Mädchen reiten inzwischen regelmäßig bei uns. Sonntags haben wir Longenstunden für sie eingerichtet. Die Pferde stellt der Reitverein, die Aufwandsentschädigung für die Trainerinnen wird – zunächst für sechs Monate – vom Lionsclub München Metropolitan finanziert. Mehrere Mitglieder unterstützen weiterhin ehrenamtlich bei Besuchen von neuen Kindern und Jugendlichen. Während wir die vielen Anfragen im Sommer und Herbst kaum stemmen konnten, hat der Andrang im Winter nachgelassen. Mit dem besseren Wetter freuen wir uns nun schon darauf, weiteren ukrainischen Familien eine Auszeit vom Alltag ermöglichen zu können.
Wer Kontakte im Einzugsbereich des Reitverein Corona im Münchner Süden hat, kann sich bei Interesse gerne an zeitmitpferden@reitverein-corona.de wenden.
Dieser Artikel wurde von Daniela Beer verfasst.